Kapitel 4.4
Fördertechnik
In diesem Kapitel erfahren Sie mehr über typische Gefahren, die mit verschiedenen Arten von Fördersystemen verbunden sind, und wie sich diese durch Schutzeinrichtungen, Bereichstrennung und Gestaltungsprinzipien gemäß EN 619 reduzieren lassen. Außerdem werden sichere Zugangskonzepte für Wartungsarbeiten erläutert und kritische Zonen hervorgehoben, in denen zusätzlicher Schutz erforderlich ist.
Sicherheit in Fördersystemen verstehen
Fördersysteme gibt es in einer Vielzahl von Ausführungen: Band-, Rollen-, Tragketten-, Bodenketten-, Platten-, Behälter-, Hänge- und Schienenförderer sowie viele weitere.
Viele Fördersysteme sind „inhärent sicher“ konstruiert, das heißt, sie bergen keine oder nur geringe Restrisiken und können daher ohne zusätzliche Schutzeinrichtungen betrieben werden. Sicherheit hängt jedoch auch von den transportierten Lasten, dem Förderertyp und den Schnittstellen zu anderen Maschinen ab.
Eine umfassende Sicherheitsnorm hierfür ist die EN 619. Diese Norm ist bislang in keinem anderen Normungssystem in vergleichbarem Umfang vorhanden. Die ASME B20.1 für die USA enthält ähnliche Anforderungen, ist jedoch nicht so umfassend. Im Folgenden heben wir einige der zentralen Sicherheitsaspekte sowie Strategien zu deren Bewältigung hervor.

Sicherer Umgang mit Gefahren an Zugängen und Schnittstellen
Automatisierte Lager erfordern häufig, dass Mitarbeiter Wege mit Maschinen kreuzen – sei es, um zwischen Zonen zu wechseln, andere Systeme zu erreichen oder Wartungsarbeiten durchzuführen. Schnittstellen und Zugangspunkte bergen erhebliche Sicherheitsrisiken, wenn sie nicht ordnungsgemäß abgesichert sind.
Ein- und Ausgangsöffnungen an Schnittstellen zu anderen Maschinen sowie Übergänge für Mitarbeiter können erhebliche Risiken bergen (siehe Abschnitt „Stationäre Automatisierungssysteme“ oben für typische Risiken und geeignete Schutzmaßnahmen). Ein weiteres häufiges Risiko in großen automatisierten Anlagen betrifft den autorisierten oder unautorisierten Zugang zu Gefahrenbereichen, der üblicherweise als „Whole Body Access“ bezeichnet wird.
Techniker, die solche Bereiche zur Fehlersuche oder Wartung betreten, müssen geschützt werden – auch dann, wenn benachbarte Teile des Systems weiterhin in Betrieb sind. Unbeabsichtigtes Anlaufen von Anlagenteilen kann ohne angemessene Sicherheitsmaßnahmen zu schweren Verletzungen oder sogar tödlichen Unfällen führen.

Wissen in Kürze
Zentrale Anforderungen und Grenzwerte für Ein- und Ausgangsöffnungen in Fördersystemen und Regalbediengeräten*
Wichtig: Quetsch- und Schergefahren gelten als vermieden, wenn die durch die Last ausgeübte Kraft < 150 N beträgt. Wird dieser Wert überschritten oder besteht Gefahr durch bewegliche Maschinenteile, müssen Schutzeinrichtungen installiert werden.
Schutzzäune:
- Mindesthöhe 2000 mm (auch zwischen eingeschränktem und Gefahrenbereich), um Übersteigen zu verhindern.
- Abstand zwischen Unterkante und Boden max. 240 mm, z. B. für Reinigung oder Entnahme von Lasten (Mindest-Sicherheitsabstand zur Gefahrenstelle dann 850 mm).
- Beträgt die Höhe der Schutzkonstruktion an Ein-/Auslasspunkten < 1000 mm, muss der horizontale Sicherheitsabstand zur nächstgelegenen Gefahrenstelle mindestens 1400 mm betragen.
- Maximale Größe von Ein-/Auslassöffnungen, damit kein „Whole Body Access“ angenommen wird:
180 x 300 mm
240 x 240 mm
800 x 800 mm - Max. Abstand zwischen Förderniveau und Oberkante der Öffnung: 500 mm.
- Sichere Abstände zwischen bewegten Lasten und festen Objekten, wenn die Öffnung größer ist als oben aufgeführt:
Gesamtkörper: 500 mm
Nur Arme: 120 mm
Für alle Werte > 120 mm und bis 500 mm: zusätzliche Schutzmaßnahmen erforderlich (Netze, Matten oder geneigte Platten, die Stehen und Gehen verhindern). - Abmessungen von Tunneln um den Förderer-Ein-/Auslass, wenn der Freiraum oberhalb des Förderniveaus 500 mm überschreitet:
Max. 600 mm hoch, Tunnel-Länge mind. 800 mm
Max. 800 mm hoch, Tunnel-Länge mind. 1000 mm
Max. 1000 mm hoch, Tunnel-Länge mind. 1200 mm
* Die Informationen basieren auf EN 619, EN 528 sowie ANSI B11.0 und B11.19.

Absicherung von Förderanlagen
Zusätzlich zu einer inhärent sicheren Konstruktion erfordern die meisten Fördersysteme zusätzliche Schutzmaßnahmen, um das Verletzungsrisiko zu verringern.
Die folgenden Beispiele zeigen gängige Schutzlösungen auf, die auf EN 619 und bewährten Branchenpraktiken basieren.
Typische Schutzmaßnahmen sind:
- Schutzgitter mit verriegelten Türen
- Lichtschranken, Laserscanner oder Schaltmatten
- Barrieren zur Verhinderung des Zugangs zu Gefahrenstellen (z. B. Fußgängerbarrieren, Schrägplatten, Schaumstoffblöcke)
- Geschlossene Verkleidungen oder „Tunnel“ rund um den Förderer (siehe „Wissen auf den Punkt gebracht“ oben)
Wenn die Öffnung oberhalb des Förderniveaus höher als 500 mm ist, sind Maßnahmen erforderlich, um zu verhindern, dass Personen auf den Förderer steigen oder darüber kriechen.
Geeignete Optionen sind:
- Lichtvorhänge, druckempfindliche Matten, automatische Tore mit Muting oder Schwenktüren
- Konstruktion der Förderer so, dass der Abstand zwischen festen und beweglichen Teilen < 120 mm beträgt
- Rahmenbreiten unter 40 mm halten
- Ketten mit weniger als 40 mm Breite einsetzen, um Betreten zu verhindern
- Feste Abdeckungen, Netze, Matten, Schrägplatten oder dachförmige Profile entlang des Förderers installieren
- Matten zwischen den Ketten bei Kettenförderern verwenden
Weitere Details finden Sie in EN 619.

Risikobereichsklassifizierung nach EN 619
Sicherer Zugang für Fehlersuche, Wartung und Wiederanlauf nach Eingriffen sollte durch ein durchdachtes „Bereichskonzept“ mit geeigneten Schutzmaßnahmen gewährleistet werden.
Die EN 619 stellt ein Konzept mit fünf verschiedenen Bereichen vor, die unterschiedliche Risikostufen repräsentieren:
- Öffentlicher Bereich (geringes Risiko) – wird von der Allgemeinheit betreten, z. B. im Gepäckausgabebereich eines Flughafens.
- Arbeitsplatz (geringes Risiko) – Orte, an denen Mitarbeiter Waren kommissionieren oder verpacken (ausgenommen sind Fehlersuche, Reinigung, Wartung oder Reparaturarbeiten, die in eingeschränkten Bereichen stattfinden).
- Verkehrsbereich (mittleres Risiko) – zugänglich, ohne dass eine Schutzeinrichtung geöffnet oder entfernt oder andere Schutzmaßnahmen aktiviert werden müssen.
- Eingeschränkter Bereich (mittleres bis hohes Risiko) – darf nur von qualifiziertem Personal für Wartungs-, Fehlerbehebungs- und Reparaturarbeiten betreten werden.
- Gefahrenbereich (hohes Risiko) – hier können Personen während des Betriebs verschiedener Arten von Fördersystemen Gefahren ausgesetzt sein.

Auswahl von Schutzmaßnahmen nach Bereichstyp
Wenn ein Bereichskonzept eingeführt wird, müssen die Bereiche klar voneinander getrennt sein. Die eingeschränkten und Gefahrenbereiche dürfen nur durch das Öffnen oder Entfernen einer Schutzeinrichtung oder durch das Aktivieren anderer Schutzmaßnahmen zugänglich sein.
- Eingeschränkte Bereiche
Verwenden Sie Schutzgitter mit einer Höhe von mindestens 1400 mm. Zugangstüren müssen selbstschließend und selbstverriegelnd sein. Sie müssen nicht verriegelt sein, müssen jedoch von außen mit einem Schlüssel geöffnet werden und von innen ohne Schlüssel zugänglich sein. Die Eingänge müssen mindestens 1000 x 1000 mm groß sein.
- Gefahrenbereiche
Verwenden Sie Schutzgitter mit einer Höhe von mindestens 2000 mm. Bodenabstände dürfen maximal 240 mm betragen (nur wenn für die Reinigung erforderlich), vorzugsweise 180 mm oder weniger. Zugangstüren müssen verriegelt, mit Zuhaltung versehen oder mit einem Schlüsseltransfersystem ausgestattet sein. Befolgen Sie die Betriebsarten-Anforderungen nach EN 619. - Verkehrsbereiche und Arbeitsplätze
Verwenden Sie Fußgänger- oder Awareness-Barrieren, um Personen von den Förderbereichen fernzuhalten.
Alternative zu physischen Schutzeinrichtungen:
Sie können optoelektronische Schutzeinrichtungen installieren:
-
Die angenommene Annäherungsgeschwindigkeit beträgt 800 mm/s, wenn mit einer Annäherung durch Begehen von Rollen- oder Kettenförderern zu rechnen ist (EN 619).
-
In allen anderen Fällen gilt EN ISO 13855 bzw. ANSI B11.19 (USA) zur Bestimmung von Annäherungsgeschwindigkeiten und entsprechenden Sicherheitsabständen.
